Weltweit leben etwa 50 Millionen Menschen mit Demenz, und diese Zahl wird bis 2050 voraussichtlich auf 152 Millionen ansteigen und zwar insbesondere in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen in denen etwa zwei Drittel der Bevölkerung mit Demenz lebt. Demenz beeinträchtigt Einzelpersonen, ihre Familien und die Wirtschaft, wobei die globalen Kosten auf etwa 1 Billion US-Dollar jährlich geschätzt werden. Die Zeitschrift The Lancet hat deshalb eine Expertenkommission beauftragt, um nach modifizierbaren Risikofaktoren zu suchen, die bei der Demenzprävention eine besonders große Rolle spielen. Der 2017 erstmals veröffentlichte Report sollte somit auch als Entscheidungshilfe für die Politik dienen. Eben diese Lancet-Kommission für Demenzprävention, -intervention und -pflege aus dem Jahr 2017 wurde erneut einberufen, um die Evidenz für Fortschritte zu identifizieren. Vorrangig stammen die Informationen aus Studien in Industrieländern, so dass die Risiken in anderen Ländern gegebenenfalls abweichen und die Interventionen für andere Kulturen und Umgebungen modifiziert werden müssten.
Ziel des Berichts ist die weltweite Bereitstellung von Ressourcen für ein angemessenes Wohlbefinden von Menschen mit Demenz und ihren Betreuern mit einer besseren Evidenzbasis, die sowohl die individuelle Betreuung als auch die politische Entscheidungsfindung leitet. Fakt ist, dass Menschen mit Demenz sowie ihre Angehörigen, bei qualitativ hochwertiger Pflege, ein erfülltes Leben führen können. Mit mehr Bildung ließen sich beispielsweise viele Fälle von Demenzerkrankungen verzögern oder sogar verhindern. Eine gute Gehörfunktion, eine positive Stimmung sowie eine saubere Atemluft und gemäßigter Alkoholkonsum wirken laut aktueller Studienergebnisse ebenfalls risikomindern.
Eine wirkungsvolle Therapie gegen die Erkrankung ist bisher noch nicht bekannt, aber Studien deuten darauf hin, dass sich ein großer Teil der Demenzfälle durch eine Lebensumstellung hin zu einem gesunden Lebensstil, verbesserter Bildung, gute medizinische Versorgung und ausgeglichene, gesunde Sozialkontakte vermeiden lassen. Die Zahl der älteren Menschen, einschließlich derer, die mit Demenz leben, steigt. Die altersspezifische Inzidenz von Demenz ist jedoch in vielen Ländern gesunken, wahrscheinlich aufgrund von Verbesserungen in den Bereichen Bildung, Ernährung, Gesundheitsversorgung und Lebensstiländerungen.
Der aktuelle Lancet-Report aus dem Jahr 2020 beschreibt zwölf Faktoren, die das Risiko an Demenz zu erkranken erheblich erhöhen können. Die im Jahr 2017, auf Basis von Literaturanalysen identifizierten und quantifizierten, modifizierbare Faktoren je nach Lebensphase werden bis heute insgesamt bisher von einer wachsenden Zahl von Belegen unterstützt. Dazu zählen: geringere Bildung, Bluthochdruck, Hörminderung, Rauchen, Adipositas, Depression, körperliche Inaktivität, Diabetes und geringe soziale Kontakte.
Drei weitere Risikofaktoren für Demenz mit neueren, überzeugenden Beweisen wurden hinzugefügt. Diese Faktoren sind übermäßiger Alkoholkonsum, traumatische Hirnverletzungen und Luftverschmutzung. Zusammen sind die 12 modifizierbaren Risikofaktoren für etwa 40 % der weltweiten Demenzerkrankungen verantwortlich, die folglich theoretisch verhindert oder verzögert werden könnten. Das Präventionspotenzial ist hoch und könnte in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, in denen mehr Demenzerkrankungen auftreten, sogar noch höher sein.
Danach hat Bildung mit den größten Einfluss auf das spätere Demenzrisiko. Im mittleren Lebensalter sind das Hörvermögen, der Blutdruck und das Körpergewicht relevant, später Rauchen, Stimmung, soziale und körperliche Aktivitäten sowie Diabetes. Um die Demenzinzidenz weiter zu senken, wären eine bessere Bildung, eine verstärkter Zugang zu Hörgeräten sowie mehr soziale Integrietät vor allem für Senioren nötig. Letztlich unterscheidet sich die Prävalenz einzelner Risikofaktoren deutlich von Land zu Land – und damit auch deren Beitrag zu den Demenzerkrankungen.
Das neue Lebensverlaufsmodell und die Evidenzsynthese haben weltweit überragende politische Implikationen. Es ist nie zu früh und nie zu spät für Demenzprävention im Lebensverlauf . Risiken im frühen Lebensalter (jünger als 45 Jahre), wie z. B. geringere Bildung, beeinflussen die kognitive Reserve; Risikofaktoren in der Lebensmitte (45-65 Jahre) und im späteren Lebensalter (älter als 65 Jahre) beeinflussen die Reserve und die Auslösung neuropathologischer Entwicklungen. Kultur, Armut und Ungleichheit sind die Haupttreiber für den Bedarf an Veränderung. Personen, die am meisten benachteiligt sind, brauchen diese Veränderungen am meisten und werden den größten Nutzen daraus ziehen.
Die Politik sollte der Kindererziehung für auf globaler Ebene Priorität einräumen. Initiativen im Bereich der öffentlichen Gesundheit, die Kopfverletzungen minimieren und den schädlichen Alkoholkonsum verringern, könnten potenziell die Zahl der Demenzerkrankungen in jungen Jahren und im späteren Leben reduzieren. Die Kontrolle des systolischen Blutdrucks im mittleren Lebensalter sollte auf 130 mm Hg oder weniger abzielen, um Demenz zu verzögern oder zu verhindern. Der Verzicht auf das Rauchen, vor allem auch im Alter, verbessert dieses Demenzrisiko. Passivrauchen ist ein weniger beachteter modifizierbarer Risikofaktor für Demenz. Viele Länder haben diese Exposition bereits eingeschränkt. Politische Entscheidungsträger sollten außerdem die Verbesserung der Luftqualität vorantreiben, insbesondere in Gebieten mit hoher Luftverschmutzung.
Es wird außerdem empfohlen, mit zunehmendem Alter kognitiv, körperlich und sozial aktiv zu bleiben, obwohl es nur wenige Belege dafür gibt, dass eine einzelne spezifische Aktivität vor Demenz schützt. Die Verwendung von Hörgeräten scheint das erhöhte Risiko von Hörverlust zu reduzieren. Anhaltende Bewegung in der Lebensmitte und möglicherweise auch im späteren Leben schützt vor Demenz, vielleicht durch die Verringerung von Fettleibigkeit, Diabetes und kardiovaskulärem Risiko. Depression könnte ein Risiko für Demenz sein, aber im späteren Leben könnte Demenz eine Depression verursachen. Obwohl eine Verhaltensänderung schwierig ist und einige Assoziationen möglicherweise nicht rein kausal sind, hat der Einzelne ein großes Potenzial, sein Demenzrisiko zu reduzieren.
In Ländern mit niedrigen Einkommen hat nicht jeder Zugang zu einer weiterführenden Schule und es gibt hohe Raten von Bluthochdruck, Fettleibigkeit und Hörverlust, und die Prävalenz von Diabetes und Rauchen nimmt zu, so dass ein noch größerer Teil der Demenz potenziell vermeidbar ist. Das Verständnis der Ätiologie der Demenz verschiebt sich mit der jüngsten Beschreibung neuer pathologischer Ursachen. Insbesondere bei den älteren Menschen (älter als 90 Jahre) sind gemischte Formen von Demenzen häufiger anzutreffen. Blut-Biomarker könnten vielversprechend für zukünftige diagnostische Ansätze sein und sind besser skalierbar als Liquor- und Hirnbildmarker.
Menschen mit Demenz haben komplexe Probleme und Symptome in vielen Bereichen, weshalb Interventionen individualisiert sein sollten und die Person als Ganzes, sowie ihre pflegenden Angehörigen berücksichtigen. Es häufen sich die Belege für die Wirksamkeit, zumindest kurzfristig, von psychosozialen Interventionen, die auf die Bedürfnisse des Patienten zugeschnitten sind, um neuropsychiatrische Symptome zu bewältigen. Evidenzbasierte Interventionen für pflegende Angehörige können Depressionen und Angstsymptome über Jahre hinweg reduzieren und sind kosteneffektiv. Die körperliche Gesunderhaltung von Demenzpatienten ist wichtig für ihre Kognition, da sie mehr körperliche Gesundheitsprobleme als andere Menschen desselben Alters haben und gleichzeitig oft weniger gemeindenahe Gesundheitsversorgung erhalten. Für sie ist es oft besonders schwierig, Zugang zur gesundheitlichen Versorgung zu erhalten und diese zu organisieren.
Das Wissen rund um die Risikofaktoren und mögliche Präventionsmöglichkeiten, Erkennung sowie die Diagnosemöglichkeiten von Demenz verbessern sich, obwohl noch erhebliche Lücken bestehen. In diesem Kommissionsbericht haben wurden politische und individuelle Veränderungen aufgeführt, um den Beginn von kognitiver Beeinträchtigung und Demenz zu verzögern und bessere Wege zur Unterstützung und Behandlung von Betroffenen zu finden und ihre Lebensqualität zu verbessern. Interventionen zur Unterstützung von Menschen mit Demenz, einschließlich der Organisation der komplexen körperlichen Erkrankung und der sozialen Bedürfnisse, können in ihrer Gesamtheit einen großen Effekt haben.