Ein kürzlich veröffentlichtes wissenschaftliches Review berichtet, dass alle entzündlichen Krankheiten hier beginnen – im Darm – einschließlich ADHS, Autismus, Diabetes und Parkinson. Der Gesundheit unseres Darms wird mehr Aufmerksamkeit denn je gewidmet, und das nicht ohne Grund. Ein großer Teil unseres Immunsystems befindet sich nämlich im Magen-Darm-Trakt. Deshalb ist die Pflege unseres Darmmikrobioms so unglaublich wichtig, da sie weitreichende Auswirkungen sowohl auf die körperliche Gesundheit als auch auf unser emotionales Wohlbefinden haben kann.
Immer mehr wissenschaftliche Erkenntnisse deuten darauf hin, dass ein großer Teil der Nahrungsaufnahme auf die Ernährung gesundheitsfördernder Bakterien vor allem im Darm ausgerichtet ist. Auf diese Weise schädliche Mikroben in Schach gehalten und der Organismus vor chronischen Krankheiten geschützt. ADHS, Autismus, Lernbehinderungen, starkes Übergewicht, Diabetes und Parkinson sind nur einige der Krankheitsbilder, die nachweislich durch Dysbalancen des Darmmikrobioms beeinflusst werden. Dabei spielt vor allem unsere Ernährung eine entscheidende Rolle. Die vorliegende Studie befasst sich speziell mit der Rolle der Zonulin-vermittelten Darmpermeabilität bei der Entstehung chronischer Entzündungen (CIDs). Präklinische und klinische Studien haben in der Vergangenheit gezeigt, dass die Zonulin, einem Protein, das die Durchlässigkeit des Darms moduliert, an einer Vielzahl von CIDs beteiligt ist, darunter Autoimmun-, Infektions-, Stoffwechsel- und Tumorerkrankungen. Diese Daten bieten neue therapeutische Ansätze für eine Vielzahl von CIDs, bei denen der Zonulin-Signalweg in die Pathogenese involviert ist.
Bakterien beeinflussen unseren Gesundheitszustand
Der Hauptautor der Studie weist darauf hin, dass wir Menschen einfach nicht genug Gene haben, um die unzähligen chronischen Krankheiten, die uns widerfahren können, sowie ihre Entstehungsursachen zu erklären. Auch der Zeitpunkt des Ausbruchs von Krankheiten lässt sich mit Genen allein nicht erklären. Um diese Fragen zu beantworten, müsste man sich demnach mit dem Mikrobiom befassen – das Zusammenspiel zwischen uns Menschen und unserer Umwelt, in der wir leben, welches unseren Gesundheitszustand bestimmt. Abgesehen von den Mikroben selbst spielt auch der Zustand der Darmschleimhaut eine wichtige Rolle. Obwohl diese riesige Schleimhautoberfläche (bis zu 200 m2) auf den ersten Blick nicht sichtbar ist, spielt sie durch ihre dynamischen Interaktionen mit einer Vielzahl von Faktoren aus unserer Umgebung, darunter Mikroorganismen, Nährstoffe, Schadstoffe und andere Materialien, eine entscheidende Rolle. Während nämlich die intrazellulären tight junctions früher als statisch und undurchlässig galten, wissen wir heute, dass dies nicht der Fall ist. Diese Verbindungsstellen, also die Räume zwischen den Zellen, können breiter werden. Wenn dies der Fall ist, können die Darmwände undicht und durchlässig werden. Zonulin sei ein starker Modulator der intestinalen Permeabilität. Es ist zwar ein Biomarker für die Durchlässigkeit des Darms und spielt bei vielen chronisch entzündlichen Erkrankungen eine pathogene Rolle, aber nicht alle CIDs werden durch einen undichten Darm verursacht. Unter normalen Umständen wird in der Darmschleimhaut eine gesunde Homöostase aufrechterhalten, so dass beim Auftreten eines Antigens keine übermäßige Immunreaktion auftritt. Setzt nun eine Darmdysbiose ein (d. h. ein Ungleichgewicht in der Anzahl und Vielfalt der Darmmikroflora), die eine übermäßige Produktion von Zonulin verursacht, macht dies wiederum die Darmschleimhaut durchlässiger.
Die beiden stärksten Auslöser für die Freisetzung von Zonulin seien laut dem Autor zum einen eine Überbesiedelung mit Bakterien sowie die Exposition gegenüber Gluten. Zonulin wird als Reaktion auf schlechte Bakterien produziert – es trägt dazu bei, die Bakterien auszuspülen, indem es die engen Verbindungen öffnet -, so dass eine bakterielle Überbesiedelung Sinn macht. Interessanterweise interpretiert der Zonulin-Signalweg Gluten fälschlicherweise als potenziell schädlichen Bestandteil eines Mikroorganismus. Deshalb löst Gluten die Freisetzung von Zonulin aus. Die daraus resultierende Permeabilität ermöglicht es den aus der Mikrobiota stammenden Antigenen und Endotoxinen, aus dem Lumen in das Bindegewebe, das Teil der Darmschleimhaut ist, zu wandern und so eine Entzündung auszulösen. Verschlimmert sich dieser Prozess weiter, setzt die adaptive Immunreaktion ein und löst die Produktion von proinflammatorischen Zytokinen aus, darunter Interferon gamma (IFN-γ) und Tumornekrosefaktor alpha (TNF-α). Diese Zytokine verschlimmern die Permeabilität weiter – ein Teufelskreis. Schließlich wird die Schleimhauttoleranz vollständig durchbrochen, was zum Ausbruch einer chronischen Entzündung führt.
Chronische Entzündungen und das Leaky Gut-Syndrom
Welche chronische Entzündungskrankheit sich schlussendlich herausbildet, hängt zum Teil von der genetischen Veranlagung, zum Teil von der Art der Exposition, der man ausgesetzt war und zum Teil von der individuellen Zusammensetzung des Darmmikrobioms, ab. Zonulin ist sowohl ein Modulator der epithelialen als auch der endothelialen Barrierefunktionen. Eine Darmdysbiose kann die Freisetzung von Zonulin verursachen, was zur Passage von luminalen Inhalten durch die Epithelbarriere führt und die Freisetzung von pro-inflammatorischen Zytokinen bewirkt, die ihrerseits eine erhöhte Permeabilität verursachen und einen Teufelskreis in Gang setzen, der zu einem massiven Einstrom von ernährungsbedingten und mikrobiellen Ags führt und die Aktivierung von T-Zellen auslöst. Je nach genetischer Ausstattung des Wirts können die aktivierten T-Zellen im Magen-Darm-Trakt verbleiben und eine chronische Entzündung im Darm verursachen oder sie wandern in verschiedene Organe und verursachen eine systemische CID. Zu den chronischen Entzündungskrankheiten, die mit einer Dysregulation des Zonulin-Signalwegs in Verbindung gebracht werden, gehören:
- Autoimmunerkrankungen: Zöliakie, Typ-1-Diabetes, entzündliche Darmerkrankungen, Multiple Sklerose, Spondylitis ankylosans
- Stoffwechselstörungen: Fettleibigkeit, Insulinresistenz, nichtalkoholische Fettlebererkrankung, Schwangerschaftsdiabetes, Hyperlipidämie, Typ-2-Diabetes
- Darmerkrankungen: Reizdarmsyndrom, nicht-zöliakische Glutensensitivität, umweltbedingte enterische Dysfunktion (betrifft den proximalen Darm)
- Neuroinflammatorische Erkrankungen: Autismus-Spektrum-Störungen, Schizophrenie, schwere depressive Störungen und chronische Müdigkeit/myalgische Enzephalomyelitis
- Krebserkrankungen des Gehirns und der Leber
Darmgesundheit und Krebsrisiko
Zunehmend vertreten Forschende die Meinung, dass das Darmmikrobiom für die Krebsprävention und -therapie eine entscheidende Rolle spielt. Es hat sich nicht nur gezeigt, dass Darmbakterien die Genexpression beeinflussen, indem sie einige Gene an- und andere ausschalten. 2018 veröffentlichte Forschungsergebnisse zeigen, dass Darmmikroben tatsächlich die Antitumor-Immunreaktionen in der Leber steuern und dass Antibiotika die Zusammensetzung der Immunzellen in der Leber verändern und das Tumorwachstum auslösen können. Desweiterem fördern bestimmte Darmbakterien Entzündungen, die praktisch allen Krebsarten zugrunde liegen, während andere Bakterien sie unterdrücken. Es hat sich sogar gezeigt, dass das Vorhandensein bestimmter Darmbakterien das Ansprechen des Patienten auf Krebsmedikamente verstärkt. Eine Möglichkeit, wie Darmbakterien die Wirksamkeit der Krebsbehandlung verbessern, besteht darin, dass sie das Immunsystem aktivieren und es effizienter arbeiten lassen.
Gute Darmbakterien für das Immunsystem
Darmbakterien sind auch an der antiviralen Abwehr beteiligt, wie Forschungen der Harvard Medical School zeigen. Zum ersten Mal haben Forscher die spezifische Population von Darmmikroben identifiziert, die sowohl die lokale als auch die systemische Immunantwort moduliert, um virale Eindringlinge abzuwehren. Die Arbeit identifiziert eine Gruppe von Darmmikroben und eine bestimmte Spezies innerhalb dieser Gruppe, die Immunzellen dazu veranlasst, virusabweisende Chemikalien freizusetzen, die als Typ-1-Interferone bekannt sind. Die Forscher identifizierten außerdem das genaue Molekül, das von vielen Darmbakterien innerhalb dieser Gruppe geteilt wird und die Immunschutzkaskade in Gang setzt. Dieses Molekül sei leicht zu isolieren und könnte als Grundlage für Medikamente dienen, die die antivirale Immunität beim Menschen stärken.
Die Ergebnisse müssen zwar noch repliziert und bestätigt werden, aber sie weisen auf die Möglichkeit hin, dass Sie wir unser Immunsystem stärken können, indem wir unseren Darm beispielsweise mit Bacteroides fragilis und anderen Bakterien der Bacteroides-Familie neu besiedeln. Diese Bakterien setzen eine Reihe von Signalen in Gang, die die Freisetzung von Interferon-beta auslöst, das vor einer viralen Invasion schützt, indem es Immunzellen dazu anregt, das Virus anzugreifen und virusinfizierte Zellen zur Selbstzerstörung zu veranlassen. Ein Molekül, das sich auf der Oberfläche des Bakteriums befindet, löst die Freisetzung von Interferon-beta aus, indem es den so genannten TLR4-TRIF-Signalweg aktiviert. Dieses bakterielle Molekül stimuliert einen Immun-Signalweg, der von einem der neun Toll-like-Rezeptoren (TLR), der Teil des angeborenen Immunsystems sind, initiiert wird.
Darmgesundheit und Vitamin D
Neuere Forschungsergebnisse unterstreichen auch die Rolle von Vitamin D für die Darmgesundheit und die systemische Autoimmunität. Eine im Januar 2020 veröffentlichte Studie besagt beispielsweise, dass Menschen mit Autoimmunerkrankungen dazu tendieren, eine Prädisposition für ein Vitamin-D-Defizit zu haben. Das verändert das Mikrobiom und die Integrität der Darmepithelbarriere. In dieser Arbeit wird der Einfluss von Darmbakterien auf das Immunsystem zusammengefasst und die mikrobiellen Muster untersucht, die sich aus Studien zu Autoimmunkrankheiten ergeben haben. So konnte erörtert werden, inwiefern ein Vitamin-D-Defizit auf die Funktion der Darmbarriere, die Zusammensetzung des Mikrobioms und/oder auf die Immunreaktionen zur Autoimmunität wirkt.
Vitamin D hat demnach mehrere direkte und indirekte regulatorische Auswirkungen auf das Immunsystem, darunter die Förderung regulatorischer T-Zellen, die Hemmung der Differenzierung von Th1- und Th17-Zellen, die Beeinträchtigung der Entwicklung und Funktion von B-Zellen, die Verringerung der Monozytenaktivierung und die Stimulierung antimikrobieller Peptide aus Immunzellen. Abgesehen von der Immunsuppression scheint Vitamin D auch die Symptome der Patienten mit Autoimmunkrankheiten zu verbessern, indem es die Zusammensetzung der Mikrobiota und die Darmbarriere positiv beeinflusst.
Der Bericht zitiert Forschungsergebnisse, die zeigen, dass der Vitamin-D-Spiegel die Zusammensetzung des Darmmikrobioms verändert. Im Allgemeinen führt ein Vitamin-D-Mangel zu einer Zunahme von Bacteriodetes und Proteobacteria, während eine höhere Vitamin-D-Zufuhr tendenziell die Prävalenz von Prevotella erhöht und bestimmte Arten von Proteobacteria und Firmicutes reduziert. Auch wenn die Forschung über die Auswirkungen von Vitamin D auf die Darmbakterien, insbesondere bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen, noch sehr spärlich ist, sind Vitamin-D-Defizite und Autoimmunerkrankungen bekannte Begleiterscheinungen, und eine Vitamin-D-Supplementierung wird für diese Patienten dringend empfohlen. Besser bekannt ist, wie Vitamin D die Abwehrkräfte der Darm- und Immunzellen im Darm unterstützt. Tatsächlich ist Vitamin D eine der entscheidenden Komponenten, die für die Aufrechterhaltung der tight junctions erforderlich sind. Denn das Darmepithel (Gewebe) steht durch den Prozess der Nahrungsaufnahme in ständiger Interaktion mit der äußeren Umgebung. Eine angemessene Integrität der Barriere und eine antimikrobielle Funktion an der Epitheloberfläche sind entscheidend für die Aufrechterhaltung der Homöostase und die Verhinderung des Eindringens oder der Überbesiedlung durch bestimmte Mikrobenarten. Ein gesundes Darmepithel und eine intakte Schleimschicht sind entscheidend für den Schutz vor dem Eindringen pathogener Organismen, und Vitamin D trägt zur Aufrechterhaltung dieser Barrierefunktion bei.
Vitamin-D-Defizit und Autoimmunkrankheiten
Den Autoren zufolge kann ein Vitamin-D-Mangel zu Autoimmunkrankheiten beitragen, indem er das Mikrobiom und das Immunsystem beeinflusst. Sowohl ein Vitamin-D-Mangel als auch die Vitamin-D-Supplementierung verändern das Mikrobiom. Ein Mangel an Vitamin-D-Signalen aufgrund einer Mangelernährung kann die physische und funktionelle Integrität der Darmbarriere beeinträchtigen, so dass bakterielle Interaktionen Immunreaktionen sowohl stimulieren als auch hemmen können. Die angeborene Immunabwehr kann bei einem Vitamin-D-Mangel ebenfalls beeinträchtigt sein.
Der Weg zu einem gesunden Darm
All diese Informationen sollten deutlich machen, dass die Optimierung unserer Darmflora und unseres Vitamin-D-Spiegels von entscheidender Bedeutung für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden ist. Indem wir unseren Darm wieder mit guten, nützlichen Bakterien besiedeln, können krankheitserregende Mikroben und Pilze in Schach gehalten werden. Die Optimierung unseres individuellen Vitamin-D-Spiegels hilft, einen sogenannten „Leaky Gut“, einen undichten Darm zu vermeiden. Der regelmäßige Verzehr fermentierter Lebensmittel und die kontrollierte Einnahme von Probiotika können die Darmgesundheit, besonders während einer Antibiotikaeinnahme, zusätzlich unterstützen. Wie wir wissen, töten Antibiotika wahllos Ihre Darmbakterien ab, sowohl die guten als auch die schlechten. Aus diesem Grund sind Sekundärinfektionen und eine verminderte Immunfunktion häufige Nebenwirkungen der Einnahme von Antibiotika. Die chronische Aufnahme von Antibiotika in niedriger Dosierung über die Nahrung belastet auch Ihr Darmmikrobiom, was zu chronischen Erkrankungen und einem erhöhten Risiko für Arzneimittelresistenzen führen kann. Nicht zuletzt müssen Sie auch Dinge vermeiden, die Ihr Mikrobiom stören oder abtöten, und dazu gehören:
- Antibiotika, sofern nicht absolut notwendig
- Konventionell gezüchtetes Fleisch und andere tierische Produkte (diese Tiere werden routinemäßig mit niedrig dosierten Antibiotika gefüttert werden)
- gentechnisch veränderte und/oder mit Glyphosat behandelte Getreidesorten
- Stark verarbeitete Lebensmittel (übermäßiger Zuckergehalt nährt krankheitserregende Bakterien)
- Gechlortes und/oder fluoridiertes Wasser
- Antibakterielle Seife und Produkte, die Triclosan enthalten